Gemeinsam einsam

Ich weiß nicht mehr, wann und wo ich das Gemälde ‘Nighthawks’ von Edward Hopper zum ersten Mal sah. Ich weiß nur noch, wie es sich anfühlte.

Ich sehe mich selbst in der Person, die den Betrachter*innen den Rücken zukehrt und an der Bar bei Phillies einen nächtlichen Kaffee trinkt. Die Distanz, die zwischen der Großstadtszene der 1940er Jahre und meinem eigenen Leben zeitlich und räumlich existieren müsste, kommt nicht in mir auf. Dennoch macht das Spiel mit Nähe und Distanz meine Faszination mit den Gemälden von Hopper aus. Ich kenne die darin abgebildeten Momente und meine, auch die Protagonist*innen zu kennen. Ich projiziere, sehe Teile von mir selbst und meiner Realität. Ich fühle mich gesehen.

Immer wieder frage ich mich, warum mich Kunst so kontinuierlich beschäftigen kann. Seit dem Teenageralter muss ich hunderte Stunden mit Museums- und Ausstellungsbesuchen verbracht haben. Kunst sehen kann zur Obsession werden, wenn man nicht aufpasst. Meine Obsession könnte mit Hopper begonnen haben. Auch wenn sich das nicht zurückverfolgen lässt, war ‘Nighthawks’ eine Art Nullpunkt meines Sehens, ein Awakening in Sachen Malerei.

Doch zu was genau bin ich da erwacht? Ich habe mich, wie gesagt, gesehen gefühlt und darin liegt doch einer der Kernpunkte, warum Kunst überhaupt wirken kann. Die meisten Menschen möchten sich, mal mehr und mal weniger bewusst, in ihrer Umgebung wiederfinden; beispielsweise in anderen Menschen, in Worten oder in Bildern. Kunst eröffnet dafür Räume durch neue akustische, visuelle oder haptische Reize. Dadurch, dass man die Möglichkeit hat, hinzuhören, zu schauen oder zu fühlen, lernt man nicht nur Dinge über die Umwelt, sondern auch viel über sich selbst. Ich denke, dass oft vergessen wird, wie eng beides miteinander verbunden ist, wie ungenau Grenzen zwischen dem Eigenen und dem Anderen verlaufen. Aus der Erkenntnis dieser Verbundenheit kann Stärke hervorgehen.

‘Nighthawks’ ist für mich kein bildlicher Inbegriff von Einsamkeit und Isolation. Ich finde in dem Gemälde eine warme Vertrautheit. Einige von Edward Hoppers Gemälden leisten für mich, dass darin Individuen in ihrer Eigenständigkeit begriffen werden, gleichzeitig aber auch der allgegenwärtige Drang nach gemeinschaftlicher Verbundenheit mitgedacht werden kann. Vier Personen finden am Abend in ‘Nighthawks’ zusammen. Vermutlich kennen sie sich nicht, aber vielleicht lernen sie sich näher kennen und dadurch auch sich selbst.